Bundeswehr statt Schule – Minderjährige beim Militär
Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 ist die Bundeswehr eine Freiwilligenarmee. Angesichts der Konkurrenz um qualifiziertes Personal mit anderen Arbeitgebern, sieht sich die Bundeswehr zur Rekrutierung genügend Freiwilliger, gezwungen sogar bei Minderjährigen für den Dienst an der Waffe zu werben. Auch ein bereits volljähriger Schüler in der J1 tritt frühzeitig aus dem Gymnasium aus, um seinen freiwilligen Wehrdienst zu absolvieren.
2021 dienten rund 184.000 Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr. Im selben Jahr wurden 1.239 in die Truppe aufgenommen, die bei Dienstantritt noch keine 18 Jahre alt waren. Seit Aussetzung der Wehrpflicht traten insgesamt mehr als 15.000 Minderjährige ihren Dienst an.
Aufgrund dessen ist der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, der die Einhaltung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen überwacht, besorgt und hat Deutschland wiederholt aufgefordert, das Mindestalter für die Rekrutierung von Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten auf 18 Jahre anzuheben sowie jede Form von Werbung für die Bundeswehr bei Kindern zu verbieten. Dem hat sich die Kinderkommission des Deutschen Bundestages einstimmig angeschlossen.
Der Wehrbeauftrage der Bundesregierung mahnte bereits in seinem Jahresbericht 2016, diese Rekrutierungspraxis dürfe nicht weiter ausgebaut werden: „Mit dem Engagement Deutschlands bei der Wahrnehmung der völkerrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des Kinder- und Minderheitenschutzes scheint es nicht ganz leicht zu vereinbaren, wenn die ausnahmsweise Rekrutierung Minderjähriger zum Regelfall mit steigender Tendenz wird.“
Sorge bereitet dem Deutschen Kinderschutzbund die zunehmende Vermischung von realen Anwerbeversuchen mit spielerischen Inhalten, etwa auf YouTube oder Instagram und vor allem auf Spielemessen. „Dass die Bundeswehr zum Beispiel auf der Gamescom um Nachwuchs wirbt, nehmen wir nicht hin“, sagt der Präsident des Deutschen Kinderschutzbunds Heinz Hilgers. „So verwischen die Grenzen zwischen Spiel und Realität. Ein Kriegseinsatz ist kein Shooter-Spiel und die Bundeswehr kein Abenteuerspielplatz. Damit werden der Militärdienst und die mit ihm verbundenen Einsätze systematisch verharmlost.“
Die Bundeswehr entgegnet, dass bei minderjährigen Bewerberinnen und Bewerbern in intensiven Auswahlgesprächen überprüft werde, ob sie die nötige Reife mitbringen und sonst alle Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen mindestens 17 Jahre alt sein, die Vollzeit-Schulpflicht erfüllt haben, eine sechsmonatige Probezeit absolvieren und die Zustimmung der Eltern haben. Darüber hinaus seien sie nicht so einsetzbar wie andere Soldatinnen und Soldaten, sie dürfen weder für den Wachdienst eingeteilt werden noch an Auslandseinsätzen teilnehmen und Waffen nur zu Ausbildungszwecken benutzen.
Mit ähnlicher Argumentation lehnte der Bundestag im Februar 2019 zwei Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Rekrutierung Minderjähriger mit Stimmen von CDU/CSU, SPD, AfD und FDP ab. „Menschen, die freiwillig mit 17 Jahren in den Streitkräften Dienst tun wollen, die dürfen wir und die wollen wir daran nicht hindern, sondern wir wollen ihnen eine Perspektive geben“, heißt es in der Rede des ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs der Verteidigung Thomas Silberhorn (CSU).
Der Ex-Soldat Lukas Wunsch, Student der Politikwissenschaften an der Phillips-Universität Marburg berichtet, er habe am eigenen Leib erfahren, wie die Bundeswehr die Perspektivlosigkeit junger Menschen ausnutze, um sie in den Kriegsdienst zu locken. Auch ein Mitschüler in unserer J1 hat sich dazu entschlossen, dieses Jahr mit der Schule aufzuhören und nach den Sommerferien im Oktober seinen freiwilligen Wehrdienst als Gebirgsjäger in Bischofswiesen bei den Alpen anzutreten. Wir durften ihm einige Fragen zu seiner Ausbildung bei der Bundeswehr stellen:
Wie bist du auf die Bundeswehr aufmerksam geworden?
Ich hab einen Kollegen, der bei der Bundeswehr ein freiwilliges Jahr gemacht hat und am Anfang der J1 hat ein Lehrer schon von der Möglichkeit geredet.
Wie haben Deine Eltern, Mitschüler/innen und Lehrer/innen auf dein Vorhaben reagiert?
Mein Vater fand gut, dass ich einen Plan hab, aber meine Mutter war natürlich bisschen abgeschreckt von dem Wort „Bundeswehr“. Einige Lehrer und Schüler fanden es sehr cool, andere waren traurig, dass ich gehe.
Was denkst Du über die Kritik an der Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr?
An einem freiwilligen Jahr, wie ich es mache, besteht nicht die Möglichkeit bzw. muss man sich nicht dazu verpflichten lassen, im Ausland eingesetzt zu werden. Das einzige was man mitnimmt ist die Ausbildung, die Arbeit als Soldat, aber keine Kampferfahrung im Krieg. Und wenn man sich selber freiwillig dazu entscheidet, sehe ich kein Problem darin.
Wie sieht Dein Plan nach dem freiwilligen Wehrdienst aus?
Nach dem freiwilligen Jahr bekomme ich meine Fachhochschulreife. Ich will anschließend in Villingen-Schwenningen bei der Bundespolizei für drei Jahre studieren und danach im gehobenen Dienst bei der Bundespolizei arbeiten. Mir gefällt die Richtung Kriminalistik, ich möchte mich später aber noch für höhere Positionen Richtung Spezialeinheit bewerben.
Wir wünschen unserem Mitschüler viel Erfolg für seine Zeit bei der Bundeswehr und seinen weiteren beruflichen Werdegang.
2 thoughts on “Bundeswehr statt Schule – Minderjährige beim Militär”
An sich finde ich es gut, dass man schon mit 17 so ein Lehrjahr machen kann, aber Werbung auf der Gamescom oder so ein Plakat gehen meiner Meinung nach gar nicht! Wie im Artikel schon gesagt: Es wird so ein bisschen die Grenze zwischen Spiel und Realität absichtlich verwischt. Das ist aber doch eigentlich genau das, was man nicht möchte weil Spiel (in dem z.B. Leute wiederbelebt werden) und Realität nicht das gleiche sind und bleiben!
Alles in allem übrigens ein sehr guter, toll geschriebener Artikel 👍
Danke, dass Du Deine Meinung über die Rekrutierungspraxis der Bundeswehr teilst. Ich freue mich auch über das positive Feedback.